Lieber Wolfgang, das ist eine sehr schöne, feine Beobachtung: «Es sind die schönsten Antworten, die wir geben können, wenn die Frage dazu noch nicht ins Bewusstsein gedrungen, aber sehr wohl da ist. Deshalb ist das Wort ‹noch› wichtig. Wenn man dann die Antwort hört, wacht man für die Frage auf. Während gewöhnlich Antworten eine Frage abschließen, weckt diese Antwort die Frage erst.» (‹Goetheanum› 39–40/2020)
Überhaupt ist dieser Zusammenhang zwischen Frage und Antwort (Antwort und Frage) ein wunderbares Feld, wo es ja noch so viel zu entdecken gibt. Ich begegne auch immer wieder der Situation, wo ich (z. B. in der Naturbestimmung und überhaupt bei Namen- und Begriffbestimmungen) eine unzutreffende, vorschnelle (lieblose) oder gar falsche Antwort gebe, gegeben habe. Dann führt mich diese Antwort nach einer Weile (das kann auch Tage und länger dauern) zur Frage zurück und hellt diese schlagartig, ruckartig auf und ich bin wieder beim Gegenstand oder Problem, und zwar ganz versöhnlich, aufgestellt, «wie am ersten Tag». Im Sinne von Heinrich Barth ist keine Frage denkbar, die nicht «von etwas ausgeht». Mit deiner Beobachtung wird deutlich gemacht, dass das, «wovon ausgegangen wird», (mir) gar nicht (mehr) klar sein muss. Sowohl Frage wie Antwort können mir dabei helfen, mich kreativ auf den «Weckruf» (Barth) der Erscheinung zurückzubesinnen. Aber für diesen Gang von der Antwort aus braucht es wirklich Selbsterziehung, denn ich wiege mich in der Illusion der abschließenden/abgeschlossenen Beantwortung. Darauf machst du ja aufmerksam.
Dein «noch nicht» ließe sich nach meiner Erfahrung auch erweitern mit «nicht mehr». Also: Es sind die schönsten Antworten, die wir geben können (die uns gegeben werden können), wenn die Frage dazu noch nicht ins Bewusstsein gedrungen oder nicht mehr bewusst ist (eingeschlafen ist), aber sehr wohl mit meiner Existenz (oder meinem Leben) verbunden ist (bleibt). Danke für deine Anregung!