Wofür brauchst du Mut?

Wir baten Mario Betti, diese Frage gedanklich und doch persönlich zu erörtern, und andere Menschen, uns ihre kurzen Antworten zukommen zu lassen. Ein Panorama michaelischen Nachklangs.


Es kommt eine Zeit im Leben – für die einen früher, für andere später –, gleichviel, ob wir uns lange im Tal aufgehalten haben oder ob wir oft Gipfelstürmer gewesen sind, in der wir eine Art umfassenden Überblick für alles Gewesene gewinnen, aber auch für die eigentlichen Motive unseres Handelns. Nicht zuletzt taucht der Sinn unseres Schicksals wie eine versunkene Stadt aus den Tiefen der Seele auf.

Manche Lebensfrage, die man sich gestellt hat, kommt einem dann wie ein Stein vor, der, ins Wasser geworfen, zwar immer weitere Kreise gezogen hat, aber wir merken auch, dass erst dann eine echte Antwort möglich wurde, wenn wir den Mut hatten, in das Seelengewoge zu tauchen, um den Grund zu erreichen, auf dem der Stein ruhte. Um tieferen Lebensfragen auf den Grund zu gehen, braucht man also Mut.

Grafik: Fabian Roschka

Wenn nun, gerade zu Michaeli, die deutliche Frage gestellt wird, wofür ich Mut brauche, dann muss ich bereits ohne Furcht tief in die versunkene Stadt eintauchen. Und wenn ich danach versuche, eine Antwort zu formulieren, ohne im Allgemeinen zu ‹verschweben›, wovon mir Goethe abraten würde, dann antworte ich geradeheraus: Mut brauche ich, immer wieder, und das seit Jahrzehnten, um meinen Werten, meinen Idealen im praktischen Leben treu zu bleiben.

Selbst wenn ich manchmal in ein gefährliches Sumpfgebiet geraten war und meine Schuhe nicht besonders rutschfest waren, haben meine Ideale mir immer wieder in die Aufrechte geholfen.

Und da lernte ich nach und nach, dass diese Treue zu den wichtigsten Tugenden (darf man dieses Wort heutzutage noch nennen?) gehört, die das Dasein wirklich menschenwürdig machen. Gerade im Ringen um die Verwirklichung meiner geistig-ethischen Werte wurde mir die Haltung des Erzengels Michael zum Vorbild. Was meine ich damit?

Wandlung ohne Gewalt

Es sind im Laufe der Jahrhunderte unzählige künstlerisch wertvolle Abbildungen des Erzengels entstanden, die ihn entweder als hohes geistiges Wesen darstellen oder auch als Seelenwäger vor dem jüngsten Gericht. Aber vor allem kennen wir ihn im Zusammenhang mit seinem Kampf gegen den Drachen.

Bei einigen Darstellungen schaut Michael über den Widersacher hinweg oder nach vorne. Er kennt den Drachen und deshalb braucht er nicht das Untier mit grimmigem Blick zu bekämpfen. Denn das hieße, sich auf die Stufe des Drachens zu begeben, um ihn mit seinen Waffen zu bekriegen, das aber hieße: mit Gewalt.

Das ist allerdings die Neigung von vielen wohlmeinenden Menschen: Den Drachen mit den Waffen des Drachens zu bekämpfen. Oder man meint, indem man den Teufel immer wieder an die Wand malt, dass man ihn dadurch besiegen würde. Erkenntnis des Bösen ist aber keine Schwarzmalerei.

Diese Haltung erinnert mich – bezogen auf die Selbsterziehung, denn auch da hat man mit unterschiedlichen Drachen zu tun – an den bekannten Spruch: «Sich selbst bekriegen ist der schwerste Krieg, sich selbst besiegen ist der schönste Sieg.» Dieser Spruch ist schon im Ansatz ungut.

Es geht gar nicht darum, dass ich mich bekriegen muss oder mich gar besiege, sondern dass ich mich wandle. Und zwar im Sinne jener Ideale, die im Laufe des Lebens eine immer stärkere Kraft gewinnen können. Nur sie vermögen letzten Endes, das Dunkle zu erhellen, denn sie sind Ausdruck unseres wahren Wesens.

Gerade hier erlebe ich Michael als Vorbild. Zu Michaels Waffen gehört keine Härte, keine Gewalt, kein Krieg, sondern die Trinität von Wahrheit, Schönheit und Güte. Denn er ist der Brennpunkt einer geistigen Sonne, die mit ihrem Licht und ihrer Wärme auch alles wahrhaftig Menschliche umfasst.

Seine unbedingte Treue zu dieser Sonne, seine Treue als ‹Antlitz Christi›, wie Rudolf Steiner einmal den Sonnenerzengel Michael charakterisierte, ja seine Treue zu den Zielen der gesamten Erdenentwicklung, ist das Licht, das den Drachen im Tiefsten trifft. Das ist die Kraft, die das ‹Böse› im Laufe langer Zeiträume nicht besiegen, sondern wandeln wird.

Sie ist ein geistiges Feuer, das den Drachen von innen her ergreift, und diese Kraft wird ihn von seinem Fall erlösen. Aus der Asche seiner Drachenhaut wird auch er einmal in kosmischer Größe und Leuchtkraft auferstehen. Das – dieses Ideal – auch im praktischen Alltag in einer Ecke der Seele nie aus den Augen zu verlieren, dafür brauche ich Mut.

Mario Betti, 78 Jahre, Dozent und Autor


Mich zu trauen, diesen einen BMX-Trick zu versuchen.
Johann Bartel, 10 Jahre, Schüler

Mut brauch ich, um mir und meinen Gedanken zu vertrauen, immer wieder! Immer noch!
Dirk Schultz, 44 Jahre, Architekt

Den größten Mut brauche ich, die Liebe auszuhalten. Alles immer neu anzufangen, nichts von mir scheiden zu wollen und mit weichem Herzen da zu sein.
Franka Henn, 31 Jahre, Eurythmistin und Redakteurin

Um Vorstellungen von mir selbst abzuwerfen.
Philipp Tok, 38 Jahre, Grafiker

Schwermut und Übermut für die Kunst, Sanftmut und Großmut für die Liebe, Gleichmut im Denken, Starkmut in den Wirren der Zeit.
Andreas Laudert, 51 Jahre, Waldorflehrer und Autor

Ich brauche Mut, um die westlich-globale Kultur in meiner künstlerischen Arbeit völlig zu ignorieren, um klar und scharf keinen Wunsch zu pflegen, selbst nicht in der versteckten unterbewussten Ecke der Seele, Teil von dieser Kultur zu sein. Es ist der Mut, mich ganz auf das Kommende zu verlassen, auf eine zukünftige Kultur, für die ich Samen pflegen, aber nichts sehen kann. Den Mut zu wissen, dass meine Taten vielleicht im Nichts vergehen. Wissen, das wir im Geistigen erzeugen, ohne dass wir irdische Anerkennung haben, ohne ‹Teil der Show› zu sein. Es ist der Mut, im Kleinen zu wirken, das Recht auf Verzicht zu gebrauchen, sich zurückziehen, zu schweigen. Es ist der Mut, niemand zu sein.
Zvi Szir, 55 Jahre, Maler

Ich wünsche mir Mut, mein Glück zu akzeptieren und angstfrei zu lieben. Das ist im Prinzip: Ich wünsche mir Mut, um gegen meine Ängste und Weltergrauungen standhaft zu sein, nur positiv ausgedrückt.
Elias Bartel, 17 Jahre, Schüler

Ich brauche Mut, um Entscheidungen wirklich zu treffen.
Elfi Schulze, 37 Jahre, Sozialarbeiterin

Ich brauche Mut dazu, für wahr zu halten, was ich wahrnehme. Wahr halten und wahr nehmen, zwei Begriffe, die mich in letzter Konsequenz dahin führen, wahr und im Vertrauen zu handeln.
Katharina Müller, 41 Jahre, Musikerin

Ich brauche Mut, um zu vertrauen, dass der letzte Schritt trägt, und Mut, um zu wissen, dass du richtig bist.
Martje Brandsma, 37 Jahre, Eurythmistin

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