Vor zehn Jahren unterstrich die Abstimmung der UNO den globalen Konsens über die essenzielle Bedeutung des Rechts auf Wasser für menschliche Gesundheit und Entwicklung. Wie sieht es heute aus in der EU und auf der Welt? Und welches Gemeinschaftsverständnis braucht es, um Wasser als Gemeingut handhaben zu können?
Bereits 1998 wurde Wasser in meinem Heimatland Südafrika zu einem Menschenrecht erklärt und jedem kostenlos garantiert. Wir waren bei den letzten Akten dieses Dramas dabei.(1) Wir haben am dritten Weltwasserforum (WWF) 2003 in Kyoto eine öffentliche Eurythmie-Aufführung veranstaltet. Am nächsten Tag wurden einige von uns, die für ein ‹Recht auf Wasser› protestierten, gewaltsam von der Bühne entfernt. Beim vierten WWF in Mexiko-Stadt 2006 wurden wir von der Polizei verjagt. Beim fünften in Istanbul 2009 wurden wir wegen Anti-Staudamm-Protesten angegriffen. Hier schließlich führte der Widerstand zu einem völligen Bruch mit jenen, die das Recht auf Wasser in der UN-Menschenrechtserklärung verankert sehen wollen, und denjenigen, die die Absicht haben, den Warencharakter des Wassers fortzusetzen.
Schließlich wurde am 28. Juli 2010 bei der UNO ein Antrag verabschiedet (gegen den sich das WWF und die Weltbank vehement wandten). Obwohl sich 41 der 163 anwesenden Staaten der Stimme enthielten und die Entscheidung völkerrechtlich nicht bindend ist, unterstrich die Abstimmung den globalen Konsens über die essenzielle Bedeutung des Rechts auf Wasser für die menschliche Gesundheit und Entwicklung. Im Jahr 2015 kam Hygiene als Menschenrecht hinzu. In Deutschland aber zum Beispiel zählt Wasser, trotz parlamentarischer Versuche, nicht als Menschenrecht, sondern wird als Handelsware betrachtet («ohne Geldwert ist Wasser wertlos»). In der Schweiz hingegen schon. Die EU hält sich heute immer noch zurück. Für Einzelheiten und Entwicklungen ist das Buch von Maude Barlows «Whose Water Is It, Anyway?» sehr aufschlussreich.(2)
Privatisierungstricks
Unabhängig vom Recht stellt sich die Frage, wie eine Gemeinschaft mit Wasser umgeht. In Deutschland beispielsweise gab es in den 1990er-Jahren eine Zeit, in der die Stadträte oft in Nacht-und-Nebel-Aktionen ihre Wasserwerke an die Meistbietenden verkauften. Mehrere Bürgerinitiativen wurden gegründet, um gegen die Privatisierung oder für die sogenannte Rekommunalisierung (Kommunen kaufen ihre Wasserwerke zurück, meist zu horrenden Preisen) zu kämpfen. Obwohl dies in Deutschland heute nicht mehr der Fall ist, gehört Privatisierung zur ‹EU-DNA›. Hinzu kommen immer bedrohlichere internationale Handelsabkommen, in denen ständig mit allen erdenklichen Tricks zur Privatisierung angestoßen wird.
Das vielleicht zerstörerischste Finanzmodell, das derzeit weltweit verwirklicht wird, ist das des Wasserhandels: Wasser und Land werden legal voneinander getrennt und das Wasser wird dann an der Börse zur Bewässerung, zur Trinkwasserversorgung in den Städten, zur Stromerzeugung, in Flaschen, zur Erholung, zur Erhaltung von Lebensräumen oder anderen Umweltvorteilen angeboten. Sobald die Infrastruktur (Pumpen, Rohre, Zähler etc.) vorhanden ist, können Wasser oder Wasserrechte an der Börse gekauft und verkauft werden. Dieses System begann in Chile 1981 mit Pinochet und hat verschiedene Formen angenommen. In Australien erhielten Unternehmer zunächst Unterstützung von Umweltorganisationen für ihre Idee, indem sie ihnen adäquates Wasser für Umwelt und Erholung garantierten. Sobald die Grünen an Bord waren, wurde die vollständige Trennung zwischen Land und Wasser vollzogen und der Handel konnte beginnen. Im Wettlauf um die Oberhand haben ‹Wasserbarone› Wasserrechte (durch Landnahme, falls mit Landrechten verknüpft) erhalten. Das Wasser eines Landes kann theoretisch im Besitz von macht- oder geldgierigen Menschen außerhalb des Landes sein und es kann mit ihm spekuliert werden. Dieses Modell hat in Australien und den USA Fuß gefasst und wird rasch allgegenwärtig für eine neoliberale Konzeption der Wassernutzung.
Sobald die Grünen an Bord waren, wurde die vollständige Trennung zwischen Land und Wasser vollzogen und der Handel konnte beginnen.
Aber wir haben mit einer Erfolgsgeschichte begonnen und enden ebenso: mit der Geschichte der Anerkennung des Wassers als Person.(3) Anstatt die Gesetze zu ändern, die lediglich darauf abzielen, Degradierung und Zerstörung zu stoppen, erkennen wir rechtlich das Wasser als Wesen an. Ecuador (Pacha-Mama-Gesetz von 2008) und Bolivien (Gesetz über die Rechte von Mutter Erde von 2010) spielten eine Vorreiterrolle bei der Anerkennung der Rechte und der Würde der Natur, einschließlich der Flüsse und Seen. Indien (am Beispiel des Ganges) und Neuseeland folgten. Ob dies wirklich hilft, bleibt abzuwarten.
Fragen
Wenn wir die Idee der sozialen Dreigliederung der Gesellschaft ernst nehmen, stellt sich die Frage, welche Folgen sie für das Wasser hat. Was sind die Konsequenzen, wenn wir das obige soziale Gewirr in seinen wirtschaftlichen, rechtlichen und geistigen Aspekten entflechten und dann streng getrennt halten? Inwieweit widerspricht das Recht eines jeden Menschen auf Wasser beziehungsweise die rechtliche Anerkennung des Wassers als Organismus wirklich der ökonomischen (fiskalischen?) Idee, «gutes Trinkwasser in allen Haushalten» als Produkt anzuerkennen? Könnten genannte Kontrollen sogar helfen, Engpässe zu vermeiden oder Missbrauch aufzudecken, um eine gerechte Verteilung zu gewährleisten? ‹Gerecht› erfordert eine wirtschaftlich kooperative Handhabe, die zum Beispiel in Gemeinwohlbilanzen (4) oder ‹Blue Communities› (5) verankert ist. Können/Sollen nicht beide gleichzeitig verwirklicht werden?
Schließlich, wo passt die geistig-kulturelle Natur des Wassers (die Pflege der Wasserwissenschaften oder die Förderung und das Erleben von Wasser in der Natur und in den Städten für alle) hinein, um auch Wirtschafts- und Rechtsstrukturen immer menschennäher zu realisieren? Könnte eine solche Dreigliederung nicht dazu beitragen, die Menschheit sicherer zwischen dem Scylla-Strudel des egoistischen Neoliberalismus und dem Charybdis-Strudel der totalen staatlichen Kontrolle zu navigieren?
(1) Zusammen mit Kyoto-Eurythmisten bei der Ausführung des Wassergedichts des Nobelpreisträgers Wisława Szymborska. Weitere beteiligte Freunde waren Jennifer Greene vom Wasserforschungsinstitut in Maine/USA und Max Moser von der Medizinischen Universität in Graz/Österreich. Führend in der Koordinierung von allen internationalen Bemühungen war Maude Barlow, Autorin mehrerer Bücher, die ihr Leben den Wasserrechten und der Dekommerzialisierung widmet.
(2) Barlow, M., Whose Water Is It, Anyway? Taking Water Protection into Public Hands. ecw Press, Canada 2019.
(3) Chapron, G., Epstein, Y., López-Bao, J. V., A rights revolution for nature. Science, 363 (6434), 2019, S. 1392 f.
(4) Gemeinwohl Ökonomie z.B., Dewald, U., Rother, J., Wirtschaft fördern und fordern: Die Gemeinwohl-Ökonomie als Impuls für nachhaltige Wirtschaftsförderung. In Handbuch Innovative Wirtschaftsförderung. Springer Gabler, Wiesbaden 2020, S. 347–367.
(5) Blue Community Deutschland