Zwischen Seele und Geist

Dichtung, so die Sprachgestalterin Jutta Nöthiger zur Eröffnung des Lyrikabends der Jungen Bühne, sei ein wirksames Mittel, um die eigene Sprache zu entwickeln.


Foto: Wolfgang Held

Die 15 Jugendlichen tragen also mal einzeln, mal zu zweit oder dann als ganze Gruppe Gedichte vor. «Nichts kann gewaltsamer sein als der Mensch», hören wir aus Rilkes Feder, obwohl doch keiner der gerade erst erwachsen Gewordenen dazu fähig scheint. Und nochmal zum Krieg von Erich Fried: «Sich lieben in einer Zeit, in der Menschen einander töten mit immer besseren Waffen». Einzelne Sätze bleiben im Gedächtnis aus den Rezitationen: «Der Wunsch, verschont zu bleiben, taugt nicht.» Oder: «Die großen Gedanken werden am spätestens begriffen.» «Wer ich bin, bleibt verborgen im Licht.» Eindrucksvoll ist der Hörraum, den die Jugendlichen bilden: Alle sitzen, mit verschränkten Armen oder aufgestützt oder mit gefaltenen Händen. Sie hören nicht, weil jemand was Neues sagt, sondern weil sie sich aus der Theaterarbeit über Jahre kennengelernt und gelernt haben, durch Hören etwas hörbar zu machen. Heute verschränken sich die Generationen: In einem Setting wie an diesem kurzen Lyrikabend sind es mit einem Mal die Jugendlichen, die zeigen, wie man Stille hervorbringt, wirken Zeilen weise, die eigentlich erst aus einem langen Leben ihr Gewicht finden. So ist es, wenn es in einem Gedicht heißt: «Man muss zurückdenken können an Kindheitstage.» Am Abend scheint es, als würden die Jugendlichen probeweise in andere Lebensstufen springen, mit anderen Perspektiven und anderen Einsichten. Dann, wenn der Abend zu früh endet, schieben sie die Stühle zur Seite und tanzen einen Line-Dance, vielleicht auch, um sich nach diesem poetischen Flug des eigenen Alters wieder zu versichern.

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