Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen wirtschaftlich-politischen Machtkämpfe zwischen Amerika und Nahost/Fernost gaben neun Persönlichkeiten aus dem Kultur-, Finanz-, Rechts- und Politikleben während der Pfingsttage am Goetheanum Beiträge zum Thema ‹Wohin Europa?›.
Die Beitragenden vermittelten ein vielschichtiges Bild des gegenwärtigen Kultur-, Wirtschafts- und Soziallebens im Spannungsfeld von Individuum und Gemeinschaft. Wenn auf die eu geblickt wurde, zeigte sich deutlich, dass dieser Staatenbund erst in den Anfängen der Erfüllung möglicher Aufgaben steht. Wir leben eben in einem geistig-seelisch, sozial und wirtschaftlich differenzierten Europa, was nicht nur in seinen Sprachen, in der Philosophie sowie im Rechtsleben zum Ausdruck kommt: Auch interne Verständnisgrenzen müssen überwunden werden. Da entstehen Fragen wie: Welche Kräfte gibt es mir, da oder dort geboren zu sein? Wie gestaltet sich mein Leben in einer oder mehreren Sprachen?
Das vielschichtige geschichtliche Werden wurde nicht außer Acht gelassen. Mit der Aufklärung hat das Zeitalter des autonom werdenden Individuums begonnen, das sich von geistigen und konfessionellen Autoritäten emanzipiert und sich zunächst der sinnlichen Dingwelt zugewendet hat. Doch parallel verlief in Afrika, Amerika und Asien eine Kolonisation und Ausbeutung, die bis heute Folgen hinterlassen hat. Das Entscheidende ist die sich auf Entwicklungs- und Lernprozesse einlassende Individualität, die im Mittelpunkt stehende Ich-Persönlichkeit. Wie sagt der Peruaner Mario Vargas Llosa dazu: «Jede Identifizierung einer Person mittels Religion, Rasse oder Nationalität ist ein geistiges Konzentrationslager.» Dies bedeutet im Geist der Tagung: Der persönliche Kern eines jeden Menschen ist ein geistiger, verbunden mit kosmischen Sternenkräften. Wenn man auf die Fahne der Europäischen Union schaut, sieht man auf blauem Grund zwölf Sterne im Kreis. Sie erinnern an das mit der Sonne bekleidete Weib, den Mond unter ihren Füßen und ihr Haupt mit zwölf Sternen gekrönt (Apokalypse XII, 1).