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Taktgefühl

Findige Menschen stellen gegenwärtig fest, dass auch sie eigentlich die ganze Zeit diskriminiert werden. Ich spreche nicht von Männern. Im überregionalen Feuilleton erschienen innerhalb weniger Tage gleich zwei Artikel, in denen einerseits die gesellschaftliche Situation von Bürgern mit zwei linken Händen und andererseits die Herabsetzung von Leuten besonders jungen oder besonders hohen Alters thematisiert wurde.


Alles in allem ist das eine gesunde und positive Entwicklung, das kollektive Bewusstsein unserer alltäglichen Vergehen weitet sich dramatisch. Im Grunde könnte sich der amtierende us-Präsident zum geistig Behinderten deklarieren lassen und eine etwas einfühlsamere Behandlung einfordern, wüsste er denn, was Geist ist. Überhaupt werden wenige Berufsgruppen so gemobbt und gehasst wie Politiker, im Wortsinn dicht gefolgt von Auto- und Radfahrern; Letztere wurden kürzlich in einer der führenden deutschen Tageszeitungen als Strampelnazis diffamiert. Alle klagen ihr Recht ein, ihr Recht auf Würde, und das ist auch gut so. Ich auch! Ich auch! Täuscht der Eindruck oder halten sich, wie meistens, Anthroposophen bis auf Einzelfälle vornehm zurück? Ein Zeichen von Vertrauen in die Zukunft. Denn wo soll das alles hinführen? Worum geht es? Um das, worum es immer ging. Worum es auf Erden seit Jahr und Tag geht. Und wenn wir dann so empfindlich und allumfassend empathisch geworden sind, dass wir garantiert alle Belange und jedes Individuum verstehen können und das Geschrei um Mehrheit und Minderheit verstummt, werden irgendwann schlicht keine Einzelgruppen und Einzelinteressen mehr übrig bleiben, sondern etwas bestechend Logisches: dass wir eben Menschen sind und uns Böses wie Gutes verbindet, dass wir Verschiedenheit aushalten und Grenzen achten müssen und dass es Taktgefühl überall braucht. Gelassenen Humor. Hätte man auch einfacher haben können? Nein.


Zeichnung: Philipp Tok

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