Eliant, ein Bündnis anthroposophischer Initiativen, engagiert sich in Brüssel für kulturelle Vielfalt und den Erhalt wichtiger Wahlmöglichkeiten. Im Augenblick kämpfen die Allianzpartner für bildschirmfreie Kindergärten und Grundschulen. Bis Jahresende braucht es noch 30 000 Unterschriften. Christiane Haid sprach mit Michaela Glöckler.
2006 begann die Initiative, das Netzwerk Eliant zu gründen. Wie fing es an?
Der Ausgangspunkt war 2004 ein Gespräch mit Nikolai Fuchs, dem damaligen Leiter der Sektion für Landwirtschaft. Er erzählte mir, dass die Demeter-Babynahrung die Vertriebserlaubnis in der EU verloren habe. Ich war schockiert. Der Grund sei die EU-Vitaminverordnung, die eine künstliche Vitaminierung mit Zusätzen aus der Vitamin-B-Gruppe vorschreibe. Die Demeter-Richtlinien verbieten solche künstlichen Zusätze. Konnte man da keine Ausnahmeregelung erwirken, im Demeter-Getreide seien doch genügend natürliche Vitamine enthalten, fragte ich Nikolai Fuchs. Er bejahte: «Wir konnten unsere Analysen den Behörden zwar vorlegen, doch hieß es dann, unsere Qualität sei zu gut und die Herstellungsweise so komplex, dass man dies nicht zum Maßstab für die EU machen könne. Für eine Ausnahmeregelung fehle uns die kritische Masse.» Da es 2004 auch in den Niederlanden zu einem schmerzlichen Geschehen für die medizinische Sektion kam – Verlust der Verkehrsfähigkeit der anthroposophischen Arzneimittel –, sahen wir Handlungsbedarf. Denn wenn es so weitergeht, werden längerfristig mehr und mehr Produkte, besonders solche aus anthroposophischer Herkunft, vom Markt verschwinden, indem sie an bestimmten Behördenvorgaben scheitern. Wir riefen alle Dachverbände anthroposophischer Initiativen, die in Brüssel aktiv sind, an einen Tisch. In Jürgen Erdmenger fanden wir einen uns nahestehenden Juristen in Brüssel, der jahrzehntelang für das Verkehrsministerium der EU gearbeitet hatte. Wir baten ihn, uns eine Charta zu entwerfen. Er bot ein Treffen im Institut Rudolf Steiner in Brüssel an. Es gehört der Fondation Rudolf Steiner, in deren Vorstand Jürgen Erdmenger war. So kam es 2006 in Brüssel zur Gründung der Europäischen Allianz von Initiativen angewandter Anthroposophie/Eliant.
Welche Allianzen haben Sie aufbauen können?
Ordentliche Mitglieder der Allianz sind Dachverbände anthroposophischer Berufsinitiativen. Wir arbeiten auch mit Partnern zusammen, ohne dass diese Mitglied bei uns sind. Dazu gehört zum Beispiel die Alliance for Childhood. Wir weisen in unseren Newslettern auch auf wichtige Initiativen hin, die andere Nichtregierungsorganisationen unternehmen und die wir dadurch unterstützen können. So hat Eliant beispielsweise maßgeblich dazu beigetragen, dass eine Petition für ein 5G-Moratorium innerhalb eines Monats 50 000 Unterschriften bekam und dadurch beim Petitionsausschuss der Bundesregierung in Berlin vorstellig werden konnte.
Wie ist Ihre Stellung in Brüssel? Zu welchen Parteien gibt es regelmäßige Arbeitskontakte?
Eliant, die Internationale Vereinigung Anthroposophischer Ärztegesellschaften/IVAA, das European Council for Steiner Waldorf Education/ECSWE sowie Demeter International haben inzwischen ihre Büros vor Ort im Institut Rudolf Steiner. Dorthin werden auch Gesprächspartner eingeladen, von dort ist es nicht weit zum Parlament und zu den Räumen der Kommission. Die meisten Kontakte finden direkt zwischen den Allianzpartnern und den Behördenvertretern der jeweiligen Lebensfelder statt. Eliant hatte 2011 einen wichtigen Termin bei John Dalli, dem Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz. Dabei konnten wir mehr als eine Million Unterschriften unter der Eliant-Charta zusammen mit einem Memorandum überreichen, in dem die Forderungen und Zielsetzungen der Allianzpartner dargestellt sind. In der Folge wurden Kongresse zu diesen Forderungen veranstaltet, deren Ergebnisse auf der Eliant-Website einsehbar sind.
Was schwebt Ihnen an Zusammenarbeit mit der Politik noch vor?
Wichtig ist, dass wir die Themen, die in der EU auf der Agenda stehen, aufgreifen und bei öffentlichen Anhörungen Beiträge dazu einreichen. Im Moment ist der Aktionsplan für digitale Bildung (2021–2027) aktuell. Zwei strategische Prioritäten gibt es darin: Erstens die Förderung eines leistungsfähigen digitalen Bildungsökosystems und zweitens der Ausbau von Kompetenzen und Fertigkeiten für den digitalen Wandel. Damit ist unser Allianzpartner European Council for Steiner/Waldorf Education befasst, er formuliert Gesichtspunkte für eine altersgerechte Medienerziehung. Eliant unterstützt dieses Anliegen durch die europaweite Unterschriftensammlung für ein Recht auf bildschirmfreie Kindergärten und Grundschulen. Wir hoffen, bis zum Jahresende 2020 das Ziel von 100 000 Unterstützenden zu erreichen.
Wie kam es zum Zusammenschluss mit dem Bündnis für humane Bildung?
Als Eliant 2017 einen Kongress in Brüssel zum digitalen Ökosystem veranstaltete, waren auch Vertreter des Bündnisses für humane Bildung eingeladen. Bei einem nachfolgenden Gespräch in Stuttgart entstand die Idee, gemeinsam eine Petition zu starten. Die Fachleute des Bündnisses für humane Bildung haben den Ratgeber ‹Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt› herausgegeben. Er leistet uns wertvolle Dienste bei der Aufklärung der Bevölkerung über die schädlichen Auswirkungen zu früher Bildschirmnutzung. Eliant gehört zu den Unterstützern dieses Medienratgebers – zusammen mit 15 anderen Institutionen und Verbänden aus dem Bildungsbereich. Eliant bekam die Rechte und die schöne Pflicht, ihn international in möglichst vielen Sprachen zur Verfügung zu stellen.
In wie vielen Sprachen liegt das Buch schon vor?
In elf Sprachen, auch Arabisch, Griechisch und Koreanisch. Der Ratgeber enthält viele Tipps, durch welche Tätigkeiten man die Faszination ersetzen kann, die von digitalen Endgeräten ausgeht.
Wir verfolgen die Agenda-Themen der EU, greifen sie auf und reichen unsere Beiträge zu bestimmten Fragestellungen ein.
Welche Chance haben die Bürgerinnen und Bürger, wenn sie sich engagieren?
Es gibt die Chance, sich bei öffentlichen Anhörungen und Einladungen zu engagieren und Aktionspläne der EU zu kommentieren. Ansonsten gibt es für das zivilgesellschaftliche Engagement die Möglichkeit, durch das Sammeln von einer Million Unterschriften für einen bestimmten Gesetzesentwurf das Recht auf Behandlung des Antrags zu erwirken. Bei den Zielsetzungen des digitalen Aktionsplanes der EU, die in den kommenden sieben Jahren verfolgt werden, geht es um den durchgreifenden digitalen Wandel in allen Lebensbereichen. Die größten Gefahren sehe ich im Bildungssektor. Denn eine gesunde körperliche und seelische Reifung braucht die Auseinandersetzung mit der realen, analogen Welt. So wenig der Körper ein Computer ist, so wenig kann der Computer zur gesunden Entwicklung des Körpers beitragen. Es braucht 15 Jahre, bis das Großhirn so weit ausgereift ist, dass selbständiges Denken, Selbstkontrolle und Eigenverantwortung möglich werden. Diese Zeit sollte möglichst intensiv genutzt werden für realweltliche Erfahrungen, echte menschliche Auseinandersetzungen und vor allem initiatives eigenständiges Lernen. Dann kann man auch später einschätzen, wo man Technik wirklich braucht, wo sie dient und wie man vermeiden kann, in Abhängigkeit von ihr zu geraten.
In Schweden ist das Tablet bereits im Kindergarten per Gesetz ein Muss.
In Schweden sagen Bildungsverantwortliche klar, dass in dieser Frage Ergebnisse aus der Wissenschaft nicht berücksichtigt werden, da es hier um das politische Prinzip der Gleichheit gehe. Da dürften auch Waldorfkindergärten keine Ausnahme machen. Daher sind jetzt die Vertreter der Waldorfkindergarten-Bewegung sehr engagiert, sich vor Ort mit den Behörden über Kompromisse zu verständigen.
Jetzt läuft die Petition für ein Recht auf bildschirmfreie Kitas, die bis Ende des Jahres auf 100 000 Unterzeichnende kommen möchte. Bald ist das 70. Tausend vollendet. Wie geht es weiter?
Alle können mithelfen, über die sozialen Netzwerke oder durch Ausdrucken unserer Unterschriftenlisten von der Website im eigenen Umfeld Unterschriften zu sammeln. Unsere Petition hat zwei Intentionen. Zum einen ist sie ein Instrument für die Sensibilisierung vieler Menschen für das Problem der zu frühen Bildschirmnutzung. Zum anderen gibt sie den Fachleuten im Bildungsbereich Rückhalt, wenn sie wissen, dass sie nicht alleine stehen. Je größer die Menge der Unterstützenden ist, mit desto mehr Nachdruck kann man sich auf das Anliegen berufen. Wir sind davon überzeugt, durch diese Petition beizutragen, dass eine Bürgerbewegung für humane Bildung entsteht, die in den kommenden Jahren eine Rolle spielen kann, wenn die negativen Begleiterscheinungen einer zu frühen digitalen Bildung noch sichtbarer werden. Es ist so, wie die Generaldirektorin für Bildung in der eu, Martine Reicherts, 2017 sagte. Sie nannte den Aktionsplan der EU zur digitalen Bildung einen Tanker auf hoher See, den man nicht stoppen kann. Umso mehr sei es aber nötig, in kleinen Booten neue Richtungen einzuschlagen und für Alternativen zu sorgen, die ein Gegengewicht bilden. Auch Rudolf Steiner ging davon aus, dass diese Technik kommen wird und dass man sich dem nicht entgegenstellen kann. Wir können aber tätig werden, um zum Ausgleich dieser einseitigen Entwicklung beizutragen und ihre Schäden zu mildern.